DA SEIN
im Ernst Barlach Museum Ratzeburg und Ernst Barlach Museum Wedel
Wedel (Sept. 03 bis Jan 04), Ratzeburg (Sept. bis Nov. 03)
Die Ausstellung „DA SEIN“ umfasst etwa 90 Werke der Gegenwartskunst Objekte, Plastik, Installationen, Malerei, Grafik, Video- und Soundinstallationen.
Kunst ist Ausgangspunkt utopischen Denkens. Sie kann veranschaulichen, was sich einer begrifflichen Erfassung noch sperrt. Sie registriert Lebensmöglichkeiten oder denkt sie vorwegnehmend an, ist Spiegel unserer Existenz, unserer Möglichkeiten und Grenzen, unserer Ängste und Hoffnungen. Zusammen mit dem Sammler Rik Reinking versammelt die Ernst Barlach Gesellschaft rund 90 Werke zeitgenössischer Kunst unter dem existenzphilosophischen Begriff "DA SEIN".
Die Kunst der Gegenwart als Fazit des 20. Jahrhunderts hat sich frei gemacht von jeder Verpflichtung. Sie kann sich völlig autonom auf sich selbst beziehen. Die Werke der Gegenwartskunst sind weniger in einem zeitlichen oder inhaltlichen Prozess aufeinander bezogen, als vielmehr durch ein Nebeneinander innerhalb des selben gesellschaftlichen Raumes charakterisiert. Auch sind künstlerische Positionen heute nicht mehr am immer Neuen orientiert, an der Überbietung und der Konkurrenz zum Vorherigen. Niemand ist mehr bewegt oder gar schockiert durch das Neue, das ohnehin meist schon von der Wirklichkeit überboten wurde. Treibende Kraft des gegenwärtigen DA SEINs - und eben auch der Gegenwartskunst - ist die Positionierung der eigenen Existenz in der Differenz zum jeweils Anderen, zum Bekannten wie Unbekannten.
Das DA SEIN im Sinne von Hier Sein, heute, ist geprägt durch Lustmaximierung, Selbstinszenierung und Zersplitterung aller Normen. Gleichzeitig hat der Kanon von Profitsteigerung und Effizienzdenken den modernen Menschen in extreme Grenzen seiner Selbstverwirklichung verwiesen. Zudem ist die Welt zwischen Schein und Sein heute für das normale Auge kaum noch zu unterscheiden. In dieser Atmosphäre kann und muss auch ästhetische Produktion in immer neuen Ausprägungen radikal und situationsbezogen agieren und reagieren. Die Unüberschaubarkeit unseres heutigen DA SEINs ist Ausgangspunkt für die Vielschichtigkeit der künstlerischen Positionen zu ein und dem selben Begriff: DA SEIN. Ästhetisch bemessen bedeutet DA SEIN sich Annähern und Distanzieren, Reflektieren der Wahrnehmung und Verständigung. Es bedeutet Sein, Werden und Vergehen individuell, gesellschaftlich und politisch als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu begreifen, sich als Individuum zu verorten wie auch als gesellschaftliches Wesen, es bedeutet auch, nicht nur zu unterscheiden zwischen Traum und Realität, sondern den Verlust des Traumes in der Realität, wie umgekehrt, als Wahrnehmung zu plazieren.
Künstler:
Hermine Anthoine, Fumiko Bando, Winfred Gaul, Oskar Holweck, Toshiya Kobayashi, Anish Kapoor, Wolfgang Laib, Rolf Bergmeier, Johannes Hartmann, Piotr Nathan, On Kawara, Liam Gillick, Wilhelm Mundt, Jonathan Meese, David Hatcher, Gregory Green, Stefan Panhans, Dan Peterman, Pius Portmann, Masahiro Suda, Rosemarie Trockel, Günther Uecker, Rikuo Ueda, Herbert Zangs u.a
Die Ausstellung gliedert sich in folgende Einheiten:
Verborgene Räume - Weitungen
Die Arbeiten von Herbert Zangs, Winfried Gaul, Oskar Holweck, Günther Uecker, Toshia Kobayashi und Anish Kapoor haben eines gemeinsam: sie führen uns heran an verborgene Räume. Hinter der bekannten physikalischen Größe, egal wie genau sie bemessen und wahrgenommen wird, steckt die Möglichkeit der Entdeckung eines neuen Raumes, einer neuen Wahrnehmung, einer erweiterten Dimension. Kobayashi etwa, der eine gemalte Landschaft von der Leinwand schleift und die weißlich/grauen Überreste „Landschaft im Nebel“ nennt, zwingt den Betrachter geradezu, sich darauf einzulassen. DA SEIN in der Erfahrung des Unbekannten im Bekannten.
Natur = Kunst „Jedes Tier ist eine Künstlerin“ fügt Rosemarie Trockel ihrer webenden Spinne mit dem Titel „Grüße aus der Provinz“ hinzu. Haben wir das vergessen oder wollten wir es nie wahr haben? Der Mensch des 20. Jahrhunderts hat sich über die Natur erhoben, heute trauert er bestenfalls um die zerstörte Schönheit oder meistens nur über die erschöpften Ressourcen.
Die Arbeiten von Rosemarie Trockel, Pius Portmann, Rikuo Ueda, Wolfgang Laib und Rolf Bergmeier führen uns in eine neue, befreite Natur, deren Antlitz weit über den Begriff von Naturgewalt und Naturschönheit hinausgeht. Natur agiert als Mitgestalter - sogar freiheitlich. Wie in Uedas „Winddrawings“: er installierte ein Zeichenpapier unter einem Zweig reifer Beeren. Diese stach er vorsichtig an, um ihren Saft als Tinte einzusetzen. Der Wind ließ die Beeren zeichnen... Dieser Installation steht das Kunstprodukt einer kinetischen Zeichenmaschine von Jean Tinguely gegenüber.
Festhalten Die kleinen in Formaldehyd eingelegten Kleider der „geträumten“ Zwillinge von Fumiko Bando eröffnen diesen Raum. Läßt sich eine Realität des Traumes konservieren? Hermine Anthoine gießt Schmetterlingsflügel in Bronze, aber das Abbild ist nur in Korrespondenz mit dem Vorbild für sie existent. Johannes Hartmann formt antike Schönheit in Bienenwachs, das den Gesetzen der Ewigkeit nicht entsprechen will. Und schließlich die „Wanderung einer Schnittblume“ von Piotr Nathan. Ist auch unser DA SEIN aufgefordert, einzutauchen in den fortwährenden Prozess der Wandlung?
Zeit Welche Bedeutung hat Geschichte, wenn wir selbst ihr keine geben? On Kawara hat schon so manches große Museum mit seiner akribischen Zeitwahrnehmung und –berechnung verzaubert. Wie oft sprechen wir täglich über Millionen? Aber was heißt es, eine Million zu zählen? Oder ein Jahr in jeder Begegnung, jeder Bewegung festzuhalten? Sein Landsmann Masahiro Suda versucht Zeit in Gefühlen darzustellen. Des Nachts stickt er einen farbigen Faden in sein Laken für einen Traum, tagsüber strukturiert er Zeit in kommunikativen Farbstrukturen. Dorothee von Windheim genügt eine Scherbe der Vergangenheit als Begriff von Zeit, wohingegen Liam Gillick Tageszeitungen nach Gebrauch bündelt.
Realität Wir stehen mitten drin in der Wirklichkeit unseres DA SEINs. Hatten wir sie so vor Augen? Stefan Panhans entlarvt im Video die groteske Welt des Star-Castings mit einer solchen grausamen Realität, dass es uns schier verrückt macht, das „Darmstädter Kreuz“ von Wilhelm Mundt führt uns die Verwahrlosung unserer Erlösungsrituale vor Augen, Jonathan Meese unterwandert ohnehin jede vernünftige Botschaft, die „Smilies“ von David Hatcher dokumentieren nicht etwa auf Löschpapier die Drogenexzesse der europäischen Länder 2002, sondern deren wirtschaftliche Erfolgsraten. Die von Gregory Green nach allgemein zugänglicher Anleitung gebaute Plutoniumbombe spätestens lehrt uns das Gruseln in dieser Welt aller Möglichkeiten. Bietet Dan Peterman mit seiner im angewandten Sinne sozialen Plastik „acce-soires to an event“ einen bescheidenen Ausweg? Immerhin wurde diese 2 qm Bühne aus recyceltem Material gegossen, für das die Müllsammler ein warmes Essen bekamen. Wie wohltuend doch so eine Papiertütentasche von Urs Frei auf uns wirken kann, DA SEIN ist unbequem, spätestens jetzt wissen wir es!
Ernst Barlach Museum, Wedel
Mühlenstr. 1
22880 Wedel
fon 04103 / 91 82 91
[email protected]
ernst-barlach.de
Mehr Informationen zum Katalog .
Weiterführende Informationen:
ernst-barlach.de/aktuell/dasein/
Labels: ausstellungen , da-sein